Ein Mann schaut an der Kamera vorbei. Chrischis Filmtipp Layout.

Chrischis Filmtipp zum Wochenende

Tausend Zeilen

Vor fünf Jahren sorgte ein Journalismus Skandal in den Medien für Aufsehen, der dem Politmagazin „Der Spiegel“, aber auch anderen Blättern wie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ oder der „Welt“, enorm zusetzte. Für diese, und weitere Zeitschriften, schrieb der gefeierte und mit Preisen ausgezeichnete, Hamburger Autor Claas Relotius brisante Reportagen, die sich im Nachhinein als erfundene Lügenmärchen entpuppten. Basierend auf dem Tatsachenbuch „Tausend Zeilen Lüge“ des, ebenfalls für die Zeitschrift „Der Spiegel“ tätigen, Journalisten Juan Moreno, der den brisanten Fall aufdeckte, übergab man das Projekt an den deutschen Comedian und Erfolgsregisseur Michael „Bully“ Herbig, der eine Mediensatire aus dem Stoff schuf, die an der Kinokasse jedoch enttäuschte. Da neben Frauenschwarm Elyas M´Barek auch der in Lübeck geborene Jonas Nay (Tannbach) in der zweiten Hauptrolle zu sehen ist, lasse ich mal Lokalpatriotismus walten und stelle Euch den Film, der jetzt im Heimkino erschienen ist, vor.

Das Genre des Politthrillers ist heute noch genauso populär wie damals in den Siebzigern, als Dustin Hoffman und Robert Redford in „Die Unbestechlichen“ als Reporter den Watergate-Skandal aufdeckten oder Gene Hackman als Überwachungsexperte in „Der Dialog“ einer Verschwörung auf die Spur kam. Aktuelle Werke wie „Spotlight“ oder „Vice“ standen diesen Klassikern in nichts nach. Doch Michael Herbig geht einen anderen Weg, wie uns die einleitende Texttafel unmissverständlich klarmacht. Die Geschichte, die uns „Tausend Zeilen“ auf die Leinwand oder nun den Bildschirm zaubert, sei nur zum Teil wahr, einen Großteil habe man erfunden. Die letzten Worte „Ganz ehrlich!“ untermauern es: wir haben es mit einer Mediensatire zu tun. Keine schlechte Idee, immerhin wusste „Schtonk!“ anno 1992 hierzulande auch schon Kritiker und Publikum zu begeistern.

Und so benannte man „Der Spiegel“ in „Die Chronik“ um und änderte die Namen von Relotius und Moreno zu Lars Bogenius (Jonas Nay) und Juan Romero (Elyas M´Barek). Beide sollen für ihren Arbeitgeber einen gemeinsamen Artikel über die damalige Flüchtlingssituation an der US-mexikanischen-Grenze beschreiben. Bogenius als Begleiter eines Redneck-Kommandos, dass auf Geheiß des damaligen Präsidenten Donald Trump die Flüchtlingsströme aufhalten sollte, während Romero die Sicht der Flüchtlinge auf mexikanischer Seite einnimmt.

Die Chefetage der Chronik ist begeistert. Allerdings schütten Ressortleiter Rainer Habicht (Michael Maertens) und Chefredakteur Christian Eichner (Jörg Hartmann), ihre Lobeshymnen vor allem über Bogenius Arbeit aus, der seinen blumig verfassten Text unpassend von Romero ergänzt sieht. Als Bogenius seinen Kollegen anmailt und bittet, er solle seine Zelien doch etwas ausschmückender formulieren, wird Romero stutzig. Wie kam es zu dem in Windeseile erstellten Kontakt mit der Redneck-Armee, die sich laut Bogenius leider nicht fotografieren lassen möchte, obwohl sie in einer Dokumentation bereits zu sehen waren? Schnell steht für Romero fest: Die ganze Sache stinkt bis zum Himmel. Gemeinsam mit dem Fotografen Milo (Michael Ostrowski) macht er sich auf, Beweise zu sammeln, um dem Autorenschwindler das Handwerk zu legen. Doch der Artikel befindet sich bereits im Presswerk…

Filmplakat von Tausend Zeilen.

Eigentlich ein spannendes Thema, trotzdem kamen nur gerade einmal eine viertel Millionen Zuschauer in die Kinos geströmt, während Bullys ernster Flüchtlingsthriller „Ballon“ damals immerhin knapp eine Millionen Zuschauer anlockte. Warum also dieses Desinteresse?

Am Handwerklichen lag es vermutlich nicht, denn „Tausend Zeilen“ ist hervorragend fotografiert, zusammengestellt und geschnitten worden. Gut, dass man in Szenen, die in Mexiko spielen, einen starken Gelbfilter auf´s Bild gelegt hat, ist schon sehr altbacken (Merke: Die Welt ist in Mexiko knallgelb, während der Himmel bei uns immer schön blau ist). Doch ansonsten sieht der Film richtig gut aus und kann mit internationalen Standards mithalten.

Nein, es dürfte am halbgaren Drehbuch gelegen haben, das sich nicht entscheiden kann, welche Geschichte es denn nun eigentlich erzählen möchte. Nicht, dass der Film unentschlossen zwischen den beiden Kontrahenten hin- und herpendelt, man entschied sich, die Story fast ausschließlich aus der Sicht des „Guten“, also Elyas M´Barek, zu erzählen. Und so bekommen wir, neben ein paar wenigen Minuten Ermittlungsarbeit, die übrigens wirklich hervorragend funktionieren, auch gleich mehrere Minuten von Romeros Privatleben aufgetischt. Wer wollte nicht schon immer wissen, wie stark die Liebe zu seiner Frau (Marie Burchard), einer Foodporn-Bloggerin, doch ist? Dass er Frau und Kinder vernachlässigt, um bei seinen Ermittlungen Erfolg zu haben, die Liebe jedoch selbst diese schwerste Krise überwindet und in einer tränenreichen Dankesrede an die großartige Ehefrau mündet, ist wirklich existenziell für diese Story (hust). Auch die Geschichte mit den vier Kindern Romeros, denen Papi Geschenke aus Mexiko mitgebracht hat und mit denen er aus Versehen ohne gültigen Fahrschein in der Straßenbahn sitzt, wo Kurt Krömer als Kontrolleur, sie erwischt, war unbedingt notwendig (augenroll). Im Ernst, sowas wollte niemand wissen, ist aber eine Drehbuchschwäche, die viele deutsche Produktionen durchzieht, da man, anstatt sich auf´s Wesentliche zu konzentrieren, lieber versucht, es jeder Zuschauergruppe recht zu machen. Wenn Elyas M´Barek drin ist, dann braucht das weibliche Publikum auch eine Liebesgeschichte mit starkem, weiblichem Charakter – so jedenfalls der fehlgeleitete Gedanke vieler Filmemacher hierzulande. Der aufwändig produzierte TV-Mehrteiler „Der Schwarm“ leidet an ähnlichen Problemen und pilchert, wo er nur kann.

Missing ist sowohl spannend als auch traurig und manchmal sogar lustig und entführt den Zuschauer auf eine Reise, die mit unerwarteten Wendungen aufwartet. Es ist einer dieser Filme, bei denen man beim Einsetzen des Abspanns versucht ist, gleich nochmal eine Karte zu lösen, um sich erneut in die Geschichte fallen zu lassen.

Derzeit könnt Ihr den mit einer Freigabe ab 12 Jahren versehenen Film noch im Kino anschauen, er dürfte aber, aufgrund der vielen anstehenden Neustarts, demnächst das Feld räumen.

Auch im Grundton verhaspelt sich „Tausend Zeilen“ immer wieder, kann der Film sich doch nicht entschließen, welche Tonalität man einschlagen möchte. Mal hübsch ironisch, dann wieder albern und hier und da packend wie ein echter Krimi – der Film schlingert unentschlossen umher. Auch weiß das Drehbuch nichts so recht mit dem eigentlichen Bösewicht Bogenius anzufangen, verkommt Jonas Nays Rolle doch zum Stichwortgeber und seelenlosen Kontrahenten, dessen Beweggründe komplett im Hintergrund verborgen bleiben. Das ist besonders schade, zumal Nay mit seinem zurückhaltenden Schauspiel in den wenigen Szenen, die ihm bleiben, das restliche Ensemble locker an die Wand agiert. Was hätte das doch für ein toller Film werden können, wenn man die halbe Stunde Film, die man für Romeros Familienleben verschwendet, für eine nähere Betrachtung des Fälschers genutzt hätte. So bleibt leider zu wenig Zeit, um dem Skandal adäquat gerecht zu werden, zumal der Film mit 94 Minuten Laufzeit fast schon ungewöhnlich kurz daherkommt.

Ein totaler Rohrkrepierer ist „Tausend Zeilen“ allerdings dann auch nicht. Die professionelle, temporeiche Inszenierung, das tolle Schauspiel Nays und die recht kurze Laufzeit retten den Film zur netten Kurzweil auf der heimischen Couch. Wenn man also nicht allzu hohe Erwartungen hegt, dann kann „Tausend Zeilen“, trotz seiner zahlreichen Defizite, durchaus unterhalten.

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Photo Credits: Christian Jürs

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