Chrischis Filmtipp Layout mit einer asiatischen Frau.

Chrischis Filmtipp zum Wochenende

EVERYTHING EVERYWHERE ALL AT ONCE

Vor wenigen Tagen fand die alljährliche Oscarverleihung im Dolby Theatre in Los Angeles statt. Zwei Filme zählten dieses Jahr zu den großen Gewinnern. Einer davon sogar mal ein deutscher Beitrag, nämlich der von Netflix produzierte „Im Westen nichts Neues“, der auf seine ganz eigene Art den klassischen Antikriegsroman interpretierte und dafür stolze vier Preise einheimsen konnte. Diesen Film werden die meisten von Euch, die über ein Konto beim Streamingriesen verfügen, vermutlich bereits gesehen haben. Alle anderen werden in Kürze ebenfalls die Chance haben, den Film zu sichten, da Capelight Pictures diesen auch in physischer Form veröffentlichen wird. Ich möchte Euch heute aber den ganz großen Gewinner des Abends vorstellen, der für so manchen unter dem Radar gelaufen sein dürfte. Was genau ist das für ein kleiner Independentstreifen, der bei mehreren Preisverleihungen in den letzten Wochen abgesahnt hat? Alles wissenswerte über „Everything Everywhere All At Once“ verrate ich Euch jetzt.

Im Zentrum der Handlung steht Evelyn Wang (Michelle Yeoh), die einst mit ihrem Mann Waymond (Ke Huy Quan) aus China in den USA einwanderte. Beide betreiben einen etwas heruntergekommenen Waschsalon, über dem sie, in einer kleinen Wohnung, leben. Apropos Leben: dieses lief den einst glücklichen Partnern bereits vor Jahren aus den Fugen, denn der Waschsalon und die Familie erfordern vor allem Evelyns ganze Aufmerksamkeit, wodurch das Eheleben in den Hintergrund geriet und die Scheidungspapiere bereits verfasst wurden.

Gerade jetzt läuft es mal wieder chaotisch ab. Evelyns seniler Vater (James Hong) taucht immer wieder unvermittelt im Waschsalon auf, ebenso wie ihre Tochter Joy (Stephanie Hsu), die aufgrund ihrer lesbischen Lebensweise ihrer traditionell denkenden Mutter zusetzt. Dann sind da noch die nervenden Kunden und vor allem die anstehende Steuerprüfung, die aufgrund eines Fehlers Evelyns in der Steuererklärung ansteht.

Doch auf dem Weg in die Steuerbehörde, in der die biedere, strenge Beamtin Deirdre Beaubeirdre (Jamie Lee Curtis) nur darauf wartet, den Wangs ihre Steuervergehen um die Ohren zu hauen, beginnt Waymond sich plötzlich merkwürdig zu verhalten. Er erklärt seiner verdutzten Frau, dass er eine alternative Variante ihres Ehemannes sei, der aus einem anderen Universum angereist ist und dass alle existierenden Universen in gehörigen Schwierigkeiten stecken würden. Er sei auf der Suche nach einer Variante von Evelyn, die in der Lage sei, dass Multiversum wieder ins Gleichgewicht zu bringen und so den Fortbestand allen Lebens zu sichern. Er ist überzeugt, dass die Waschsalonbesitzerin die Richtige ist und erklärt ihr, wie es möglich ist, einen Dimensionssprung zu unternehmen, um dem Bösen Einhalt zu gebieten. Ganz schön viel Stress für einen so wichtigen Tag bei der Steuerprüfung…

Das Banner von "EVERYTHING EVERYWHERE ALL AT ONCE".

Die Produktionsfirma A24 ist bekannt dafür, mutige Independentproduktionen auf den Weg zu bringen. Filme wie „Der Leuchtturm“, „Midsommar“ und „Ex Machina“ gehen auf ihr Konto und fanden ein dankbares Publikum. Mit „Everything Everywhere All At Once“ von Daniel Kwan und Daniel Scheinert, die für Drehbuch und Regie verantwortlich waren, gelang ihnen nun der Jackpot. Reihenweise Preise konnte der Film einheimsen, zuletzt sogar sieben Oscars (u.a. für Film, Regie, Hauptdarstelllerin und männliche- und weibliche Nebenrolle). Zurecht, wie ich finde, denn einen so wilden Filmritt habe ich lange nicht gesehen. Visuell beeindruckend jagt der Film durch die teils aberwitzigen Universen, in denen manchmal auch Menschen mit riesigen Wurstfingern leben oder sogar nur Steine. Dabei gelingt der Drahtseilakt, mal komisch, mal spannend und dann wieder traurig einen Potpourri der Gefühle zu generieren.

Michelle Yeoh, die für Jackie Chan einsprang, der ursprünglich für die Hauptrolle angedacht war, diese jedoch aufgrund so mancher schlüpfriger Witzchen ablehnte, gelang mit Mitte Fünfzig nun ein gewaltiger Karrieresprung im Westen (in China ist sie längst ein Superstar). Horrorikone Jamie Lee Curtis spielt ebenfalls grandios und Ke Huy Quan dürfte die größte Überraschung gewesen sein. Der als kleiner Junge an der Seite von Harrison Ford in „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ bekannt gewordene, extrem sympathische, Schauspieler, steht seinen Kolleginnen in nichts nach, was der Gewinn seines Oscars belegt.

Missing ist sowohl spannend als auch traurig und manchmal sogar lustig und entführt den Zuschauer auf eine Reise, die mit unerwarteten Wendungen aufwartet. Es ist einer dieser Filme, bei denen man beim Einsetzen des Abspanns versucht ist, gleich nochmal eine Karte zu lösen, um sich erneut in die Geschichte fallen zu lassen.

Derzeit könnt Ihr den mit einer Freigabe ab 12 Jahren versehenen Film noch im Kino anschauen, er dürfte aber, aufgrund der vielen anstehenden Neustarts, demnächst das Feld räumen.

So manchen Zuschauer dürfte die ein- oder andere der zahlreichen Drehbuchwendungen überfordern und das hohe Tempo, dass 139 Minuten auf einen einprasselt, ist auch nicht ohne. Für mich aber gerade deshalb der (mutigste) Film des Jahres. Da können die anderen Multiversen einpacken.

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Photo Credits: Christian Jürs

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