FREAKS OUT
Seid Ihr auch der Superheldenfilme so überdrüssig wie ich? Klar, die sind allesamt hochwertig produziert, gut besetzt und werden von namhaften Regisseuren inszeniert. Doch die Masse an Kinofilmen und Serien aus diesem Genre, die in den letzten Jahren über uns hereinbrach, ließ mein Interesse von Mal zu Mal mehr schwinden. Genug von Männern und Frauen in hautengen Latexanzügen, die durch Greenscreen-Welten stapfen, fliegen und kämpfen – ich mag nicht mehr.
Doch es gibt Hoffnung am Superheldenhorizont – und zwar aus Italien. Mit einem Budget von nur 13 Millionen Dollar, also quasi dem Geld, für das beim MCU das Catering finanziert wird, entstand im Land von la dolce vita ein düsteres, schwarzhumoriges, kleines Superheldenfilmchen, dass zur Zeit des zweiten Weltkriegs spielt und somit die bösesten aller Bösewichte zu bieten hat: Nazis. Die bekommen es mit einer vierköpfigen Gruppe von gehandicapten Zirkusartisten zu tun, die den Herrenmenschen das Leben zur Hölle machen. Klingt doch vielversprechend.
Italien, 1943. Inmitten der Schrecken des Zweiten Weltkriegs, bietet der kleine Zirkus, den der jüdisch stämmige Israel (Giorgio Tirabassi) leitet, ein paar schöne Momente der Ablenkung für die Bevölkerung. Vier Artisten arbeiten für ihn, die allesamt, dank körperlicher und mentaler Abnormalitäten, als Freaks bezeichnet werden. Doch während sie in der „normalen“ Gesellschaft keinen Platz finden, ist Israel für sie seine zusammengeklaubte Familie als Ziehvater da.
Und so begeistern Fulvio (Claudio Santamaria), der behaart wie ein Wolfsmensch ist und übermenschliche Kräfte besitzt, ebenso wie der etwas klein geratene Mario (Giancarlo Martini), dessen Körper wie ein Magnet Gegenstände anzuziehen vermag. Der Albino Cencio (Pietro Castellitto) kann mittels Gedankenkraft Insekten steuern und manipulieren und last but not least ist da noch die schüchterne, junge Matilde (Aurora Giovinazzo), deren Körper elektrisch so aufgeladen ist, dass sie mit der Zunge Glühbirnen zum Leuchten bringen kann. Während man die Vier auf der Straße vermutlich mit Steinen beworfen und als Monster aus der Stadt getrieben hätte, bringen sie in Israels Zirkus Kinderaugen zum Leuchten. Bis jetzt.
Denn dann kommt es, inmitten einer Vorstellung, zum Bombenangriff durch die Nazis, bei dem das Zelt zerstört wird und große Teile des Publikums in ihrem Blut verenden. Desillusioniert wollen die Freunde das Land Richtung Amerika verlassen, um einen Neuanfang zu wagen. Doch Israel, der sich aufmacht, mit dem Geld seiner Leute gefälschte Pässe für die Überfahrt zu besorgen, verschwindet plötzlich spurlos.
Während vor allem Fulvio davon ausgeht, dass ihr einstiger Freund mit dem Geld durchgebrannt ist, glaubt Matilde, dass ihrem Ziehvater etwas zugestoßen sein muss. Während die drei anderen sich aufmachen, beim von den Nazis betriebenen Zirkus Berlin anzuheuern, macht sie sich auf den Weg, um ihren Freund zu retten. Dabei trifft sie auf eine Partisanentruppe, bestehend aus Kriegskrüppeln, die den Nazis den Kampf angesagt haben. Tatsächlich entdeckt Matilde ihren Freund Israel in einem vorbeiziehenden Judentransport der Nazis. Sie kann ihm jedoch nicht helfen, da sie sich nach einem tragischen Unfall schwor, ihre Kräfte niemals einzusetzen, um jemandem vorsätzlich zu schaden.
Derweil müssen ihre Freunde feststellen, dass der Nazizirkus mitnichten neue Attraktionen sucht. Stattdessen versucht der völlig wahnsinnige, von düsteren Zukunftsvisionen seines geliebten, Dritten Reiches geplagte Direktor Franz (Franz Rogowski) nach Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten, die für die schwächelnden Nazis das Ruder nochmal herumreißen sollen. Um an sein Ziel zu kommen, unternimmt er an den Neuankömmlingen mörderische Folterversuche, bei denen es zu zahlreichen Todesfällen kommt. Auch Fulvio, Cencio und Mario lernen seine Methoden zur Enttarnung echter Superhelden schmerzhaft kennen. Wird Matilde ihre Freunde jemals wiedersehen?
Regisseur Gabriele Mainetti sorgte mit seinem kleinbudgetierten Erstling „Sie nannten ihn Jeeg Robot“, ebenfalls einer Superheldengeschichte, für Aufsehen beim Genrepublikum. Aufgrund dieses Erfolges stellte man ihm für „Freaks Out“ immerhin 13 Millionen Dollar zur Verfügung, eine Summe, für die ein Kevin Feige vermutlich nicht einmal mit der Wimper zucken würde, und schuf den wohl originellsten, schönsten und von den Zwängen einer Familienfreigabe gelösten Superheldenfilm der letzten Jahre.
Toll gespielt, wunderschön ausgestattet und liebevoll inszeniert, sieht man dem Film sein geringes Budget zu keiner Zeit an. Ein großer Spaß, bei dem die 141 Minuten Laufzeit extrem rasant und wie im Flug vergingen.
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