Bis 2030 wird auf dem Uni-Campus Lübeck ein wegweisender Forschungsbau namens „Lemmi“ entstehen. Dieser ist als Beobachtungsfläche konzipiert, um die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz zu erforschen und neue Erkenntnisse in diesem Bereich zu gewinnen.
Es ist derzeit schwer vorstellbar, dass an diesem Standort in sechs Jahren ein neues Forschungsgebäude der Universität entstehen wird, das in Deutschland so noch nicht realisiert wurde. Zur Veranschaulichung hat Jonas Obleser eine Skizze mitgebracht, auf der ein roter Kubus eingezeichnet ist. Dieser soll genau an der Stelle errichtet werden, die sich auf dem ehemaligen Hubschrauberlandeplatz in der Nähe des Lübecker Uniklinikums befindet.
Obwohl die vorläufige Zusage für die Förderung in Höhe von etwa 64 Millionen Euro bereits vor fünf Monaten aus Berlin kam, wurde die endgültige Entscheidung durch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern erst kürzlich getroffen. Der Forscher äußert, dass man sich über die erfolgreiche Überzeugungsarbeit sehr gefreut hat. Bemerkenswert ist, dass der gesamte Prozess von der ursprünglichen Idee bis zur endgültigen Zusage nicht einmal zwei Jahre in Anspruch nahm.
Verhaltensbeobachtung steht im Mittelpunkt
Es ist tatsächlich ungewöhnlich für den Wissenschaftsbetrieb, dass der Impuls im Jahr 2022 vom Präsidium der Universität kam. Daraufhin wurde ein Antrag formuliert, der mit umfangreicher Unterstützung des Landes eingereicht wurde. Der Sprecher des Projekts „Lemmi“ erklärt, dass diese einprägsame Abkürzung für den Begriff „Lübeck Environment For Minds And Machines In Interaction“ steht.
Der Sprecher des Projekts, von Haus aus Psychologe, betont, dass die Verhaltensbeobachtung im Mittelpunkt seiner Disziplin steht. Daher lautete die grundlegende Frage für das Gebäudekonzept: Wie nehmen Menschen Technik wahr? Wie verhalten sie sich gegenüber technologischen Entwicklungen? Da auf dem Campus ein Schwerpunkt im Bereich Künstliche Intelligenz besteht, wurde es naheliegend, den Einfluss von KI auf den Alltag als zentrale Forschungsfrage zu definieren. Der Co-Direktor des Instituts für Psychologie erläutert damit die grundlegenden Überlegungen zu „Lemmi“.
Mensch - Maschine - Umwelt
Im Mittelpunkt steht das Dreieck „Mensch – Maschine – Umwelt“. Um diese abstrakte Konzeption greifbarer zu machen, beschreibt der Sprecher eine mögliche „Forschungslandschaft“ innerhalb des Gebäudes. Er nennt das Beispiel einer Teambesprechung und thematisiert, wie Künstliche Intelligenz zunehmend wichtige Rollen in Arbeitsteams einnimmt. Fragen dazu sind etwa: Welchen Status erhält die KI im Team? Wie beeinflusst ihre Anwesenheit die Atmosphäre im Raum?
Um solche Aspekte zu untersuchen, sollen herkömmliche Besprechungsräume in Laborumgebungen umgewandelt werden. Das bedeutet, dass es in diesen Räumen möglich sein muss, kabellos Hirnströme zu erfassen, etwa durch EEG, sowie Herzraten und Stresslevel zu messen. Zudem sollten Kameras installiert werden, um die Interaktionen des gesamten Teams mit der KI zu beobachten. Der Hirnforscher hebt hervor, dass die Gruppe in ihrer Interaktion in modernen Arbeitssituationen quantitativ erfasst werden soll.
Der Sprecher weist darauf hin, dass alle Maßnahmen selbstverständlich nur mit Zustimmung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer durchgeführt werden. Insgesamt wird das Gebäude nicht nur als Arbeitsplatz für die vorgesehenen rund 140 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Mitarbeitende fungieren, sondern auch als Beobachtungsumgebung für die Forschung. Die Forscherinnen und Forscher werden aus den Disziplinen Psychologie, Neurowissenschaften, Informatik und Robotik stammen und sich aus insgesamt 15 Arbeitsgruppen rekrutieren, die somit unter einem Dach vereint werden.
Interdisziplinäre Forschung zu Mensch-KI-Interaktionen
Prof. Nele Rußwinkel vom Institut für Informationssysteme betrachtet die räumliche Nähe der verschiedenen Forschungsfelder als großen Vorteil. Dies fördere das Verständnis und den Austausch zwischen den Disziplinen.
Das Ziel ist, gemeinsam zu erforschen, wie Menschen, einschließlich älterer Personen und kleiner Kinder, Künstliche Intelligenz erkennen, erleben und mit ihr interagieren, beispielsweise mit Robotern. Im neuen Gebäude werden geeignete Umgebungen geschaffen, um alltägliche Kontexte wie das Spielen von Kindern oder die Büroarbeit sowie spezialisierte Situationen, wie robotergestützte Chirurgie, zu untersuchen. Dabei wird auch der alltägliche Umgang mit Technologien wie Smartphones bei Kindern, die Betreuung von Senioren oder dementen Patienten durch Roboter sowie die Nutzung intelligenter, KI-gesteuerter Hörgeräte betrachtet. Obwohl viele dieser Technologien bereits im Alltag vorhanden sind, fehlt es noch an grundlegenden wissenschaftlichen Beobachtungen und Erklärungen dafür, wie Künstliche Intelligenz die Interaktionen mit Menschen beeinflusst.
Prof. Floris Ernst sieht „Lemmi“ als einen bedeutenden Fortschritt. Er betont, dass künftig direkt messbar erfasst werden kann, wie Mensch und Roboter bei Aufgaben effektiv zusammenarbeiten und sich ergänzen. Dabei denkt er an menschenähnliche technische Assistenten, die sich dank eines Navigationssystems im Gebäude frei bewegen können. Für die Robotikausstattung in den gemeinsamen Arbeitsbereichen sind bereits eine Million Euro eingeplant, wodurch traditionelle Laborumgebungen mit Werkshallenatmosphäre vermieden werden sollen.
Forschung zu Mensch-Technik-Interaktionen im Gesundheitswesen
Auf einem Campus, der stark von Gesundheitsfragen und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein geprägt ist, wird die Forschung im Rahmen des Projekts „Lemmi“ als Vorfeldorganisation für die Medizin betrachtet. Es wird erörtert, wie zukünftige Ärzte ausgebildet werden, wenn Roboter in der Chirurgie eine bedeutende Rolle einnehmen. Zudem wird die Notwendigkeit hervorgehoben, wichtige Prinzipien der Mensch-Technik-Interaktion zu berücksichtigen, die für die medizinische Entscheidungsfindung, die Betreuung am Krankenbett und die medizinische Ausbildung von zentraler Bedeutung sind.
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